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Bevor
ich das Geheimnis vom Inhalt des Mercedessterns verrate, ein paar
Worte zum Begriff Inhalt. Das sprachliche Bild, dass in einer
Sache einiges an Bedeutung drinnensteckt, was auf den ersten Blick
gar nicht außen sichtbar wird, ist deshalb treffend, weil
unsere Wahrnehmung nicht anders kann, als jene Eigenschaften und
Bedeutungen, die wir der Sache beilegen und zuschreiben, in diese
Sache hineinzuprojizieren. Die Qualitäten eines Gegenstandes
scheinen diesem selber innezuwohnen. Erst in der Reflexion löst
sich das Wörtchen ist auf in Relationen von Zeichen,
in soziale Situationen und kulturelle Kontexte. Alle Bedeutung,
die etwas für uns unmittelbar hat und die drinnenzustecken
scheint als Inhalt, ist in Wahrheit außen angesiedelt, liegt
in den Relationen zwischen dem Ding und den anderen Dingen, in
einem System von Vergleichungen, und wird von uns, der Gemeinschaft
der Interpreten, die wir über das Ding kommunizieren, hinzugefügt,
zugeschrieben und hineinprojiziert. Kurz gesagt: der Inhalt ist
außen, er wohnt nicht im Ding, sondern in den Köpfen
der kommunizierenden Interpreten. Der Inhalt sollte daher besser
Kontext heißen.
Wenn
ich von Inhalt rede, rede ich also von Kontext, insofern dieser
verborgen ist. Das Sprachbild vom Inhalt ist aber insofern treffend,
als ich den verborgenen Kontext erst herausholen, auspacken, entrollen
und erschließen muß. Wenn ich einen Gegenstand vor
mir sehe, dann erkenne ich blitzschnell, was er ist, und ebenso
schnell bewerte ich den Gegenstand. Will ich aber herausfinden,
was der Gegenstand nun genau für mich ist und bedeutet und
warum ich ihn gerade so und nicht anders interpretiere und bewerte,
brauche ich Zeit, viel Zeit. Wenn ich mich etwa dazu zwinge, fünf
Stunden lang bewaffnet mit Zettel und Bleistift ausschließlich
über die Frage nachzudenken, was der Mercedesstern bedeuten
könnte, dann habe ich am Ende einige Blätter vollgeschrieben.
Das ist eine sehr antiquierte Methode, bestehend aus Nachdenken
und freiem Assoziieren. Am Ende sehe ich, daß mir etwas
eingefallen ist, und all das kann ja nur vorher schon unbewußt,
als Struktur von Assoziationen, als potentielle Verknüpfung
von Erinnerungen, Ähnlichkeiten, Zusammenhängen in meinem
Kopf gesteckt haben. Und wenn es in meinem Kopf war, ohne daß
ich es gewußt habe, bevor ich es gewaltsam herausgeholt
habe, dann muß es auch in anderen Köpfen drinnenstecken.
Zumindest in all jenen Köpfen, die der selben Kulturtradition
wie ich angehören und im selben Zeichensystem mit traumwandlerischer
Sicherheit, ganz ohne nachdenken zu müssen, zu urteilen und
zu schwimmen gewohnt sind.
Wenn
ich also behaupte, Produkte sind wie Gefäße, in denen
randvoll unbewußter Inhalt steckt, den man mit einiger Mühe
herausziehen und vor sich ausbreiten kann, so meine ich mit diesem
unbewußten Produktinhalt selbstverständlich unser aller
Kopfinhalt. Unsere Wahrnehmung funktioniert dankenswerter Weise
so, daß wir nicht alles, was in unseren Köpfen an Verknüpfungen
mit Erinnerungen zu einem Sinnesreiz hinzutritt, bewußt
durchlaufen müssen, bis wir zu einem Urteil gelangen, denn
dann hätten wir viel zu tun und könnten uns nur im Schneckentempo
bewegen. Wir erkennen und urteilen sekundenschnell, aber dennoch
höchst komplex. Die Komplexität der Verknüpfung
des Wahrgenommenen mit allem, was wir je vorher wahrgenommen und
gelernt haben, mit allem, was im System der Sprache und der Bildsprache
enthalten ist, ist unendlich groß, deshalb ist es sehr wichtig,
daß diese Komplexität unbewußt bleibt. Aber sie
ist in jeder Sekunde mit dabei und steckt auch noch in den einfachsten
Wahrnehmungen und Urteilen mit drinnen. Zum Beispiel im Urteil
über die Bedeutung des Mercedessterns.
Als
ich voriges Jahr für Daimler-Chrysler das Konzept für
den Auftritt auf der Frankfurter Automesse verfassen durfte, begann
ich mich auch für das Markensymbol zu interessieren. Den
dreizackigen Stern von Mercedes, den fünfzackigen von Chrysler,
den vierzackigen von Aerospace mittlerweile ist auch noch
Mitsubishi mit seinen sternförmig angeordneten drei Diamanten
dem Konzern hinzugewachsen.
Mein
erster Schritt der Herangehensweise an so eine Fragestellung ist,
wie ich schon gesagt habe, die freie Assoziation. So heißt
auch die Methode der Psychoanalyse, die ich aber nicht auf die
Geschichte von Mama und Papa anwende, nicht auf Menschenseelen,
sondern auf Dingseelen, auf das Unbewußte der Dinge. Ich
bin ein Ding-Psychoanalytiker, ein Ding-Soziologe, ein Ding-Kunsthistoriker,
ein Ding-Philosoph. Zuerst erforsche ich das Ding, wie es in meinem
eigenen Kopf enthalten und mit Assoziationen vernetzt ist. Der
zweite Schritt ist dann, daß ich in die Bibliotheken der
einzelnen Wissenschaften gehe und zu meinen Assoziationen die
fremden Assoziationen und das schon erforschte Wissen hinzuhole.
In den Archiven hebe ich den Schatz von menschlichen Assoziationen
zum Produkt, den Schatz aller bisher gedachten Gedanken, der dort
von Produzenten und Kommunikatoren meist ungenutzt
bereitliegt. Unbekümmert um alle Grenzen zwischen den Einzelwissenschaften
plündere ich alle Wissensgebiete, die etwas zum besseren
Verstehen eines Produkts oder einer Marke beizutragen haben. Welche
Methoden und Wissenschaften dabei im Vordergrund stehen, hängt
dabei ganz vom Produkt ab. Für jedes Produkt muß ich
gleichsam eine kleine neue Wissenschaft begründen, die sich
eklektisch, wie das für Querschnittsmaterien nicht anders
sein kann, aus bestehenden Wissenschaften, Schulen, Denkstilen
und Methoden zusammensetzt.
Bei
meinem ersten Nachdenken über den Mercedesstern ist mir aufgefallen,
daß die Sterne, die wir am Himmel sehen, keine Zacken haben.
Nur auf der Erde und bei Tageslicht nennen wir gezackte, zentrierte
Gebilde Sterne. Es handelt sich dabei um Stern-Symbole ohne natürliche
Ähnlichkeit zu Himmelskörpern. Wenn Sternsymbole dreidimensional,
also mit einem Körper, dargestellt werden, so weist dieser
Symbolkörper stets Kanten auf, Facetten wie ein Kristall.
Daraus ergibt sich die Frage: was haben Sterne am Himmel mit kristallinem
Gestein gemeinsam? Himmelssterne erscheinen als winzige Lichtpünktchen,
an denen wir Schwankungen in der Helligkeit wahrnehmen. Auf der
Erde sind Kristalle, die das Licht brechen und plötzlich
aus sich heraus aufblitzen, in ihrem Potential zur Helligkeitsschwankung
den Sternen ähnlich. Eine zweite Gemeinsamkeit haben Himmelslichter
und Kristallsteine, insofern sie inmitten der vielfach chaotisch
verschlungenen Natur eine starre Geometrie aufweisen. Früh
haben die Menschen begonnen, die hellen Punkte am Himmel mit Linien
zu verbinden zu zackigen, geometrischen Bildern, zu Urbildern
für den Glauben an eine Gesetzmäßigkeit hinter
den Erscheinungen der Natur.
Diese
Ähnlichkeitsbeziehungen von Sternen und Kristallen, auf die
jeder leicht selber kommt, wenn er sich die Mühe macht, darüber
nachzugrübeln, haben sich dann bestätigt, als ich in
die Bibliotheken ging, um die Spur aufzunehmen. Schon die australischen
Aborigines haben stets Kristalle für vom Himmel gefallene
Sterne gehalten, der selbe Mythos findet sich abgewandelt in zahlreichen
Kulturen. Die Achse Stern und Kristall ist ein nahezu universales
Symbol. Was aber symbolisiert es in der europäischen Kulturtradition,
aus der nicht nur das Mercedes-Auto, sondern auch dessen Logo
entstanden ist? Es erübrigt sich, zu fragen, ob Gottlieb
Daimler, als er den dreizackigen und den vierzackigen Stern schützen
ließ, als Bildungsbürger den kulturhistorischen Bedeutungsgehalt
des Markenzeichens, das er intuitiv für passend hielt, im
Kopf hatte. Bewußt sicherlich nicht, aber als strukturelles
Wissen über den gesamten Bau der abendländischen Kultur
wohl schon.
Bei
meinen Recherchen wurde ich bald fündig, etwa im Lexikon
der Traumsymbole: Der Stern ist ein Hoffnungs- und Ermutigungs-Signal,
ein Licht in der Finsternis. Seinem Stern zu folgen bedeutet,
daß man seine Talente und Bedürfnisse kennt, seine
Chancen realistisch einschätzt, aber trotzdem unbeirrbar
seinem Ziel näherkommt. Klingt wie Unternehmensphilosophie.
Dann las ich im Buch Die Legenden der Sterne, für
die alten Griechen seien die Sterne Fahrzeuge für Menschenseelen
gewesen. Und ein mittelalterlicher Erklärer des Aristoteles
kam zu dem Schluß: Die Urbilder der auf Erden entstehenden
Dinge sind die Fix-Sterne. Cicero erblickte in diesen Vernunft
und Dauer als hätte er ein Leitbild für
Mercedes formulieren wollen. Ich beschloss, ein Projekt für
Daimler-Chrysler zu konzipieren mit dem Titel: Stern Deutung.
Der Griff nach den Sternen - von der Himmelsmaschine
zur irdischen Konstruktion.
Wissenschaftliche
Erforschung des Markenzeichens mit dem Ziel, das darin enthaltene
symbolische Kapital für Anwendungen in der CI und Unternehmenskommunikation
(Ausstellung, Buch, Museum im Internet...) zu erschließen.
Ziel: Vertiefung der Synonymität von Stern und Mercedes.
In
der Antike erblickte man im Sternenhimmel das Urbild einer mathematisch-geometrischen
Ordnung. Die Bewegungsgesetze begann man zu ergründen und
entwickelte von Platon bis Boethius dafür das
Bild einer Himmelsmechanik, einer sog. Himmels-Maschine.
Aus der Beobachtung der Sternenbahnen entwickelte sich die abendländische
Mathematik. In der Folge wurden die zahlenmystischen Aspekte durch
Ansätze naturwissenschaftlicher Rationalität verdrängt.
Die Verknüpfung von mathematischer Berechnung mit genauer
Beobachtung der Bewegungsgesetze der Natur nahm von der antiken
Sternguckerei ihren Ausgang. Die grundlegende Idee der europäischen
Naturwissenschaft und ihrer späteren Umsetzung in Technik,
daß die Erscheinungen der Natur durch Messen und Rechnen
als gesetzmäßig und mechanisch zu ergründen sind,
wurde anhand der Betrachtung der Sternengeometrie und Bewegungsbahnen
entwickelt.
Im
Symbol des Sterns, wie wir es als zackiges, kristallin facettiertes
Gebilde kennen, verdichtet sich somit der Gründungsmythos
der europäischen Ingenieurskunst, die Himmelsmaschine durch
Rechenkünste und Konstruktion auf die Erde herunter holen
zu können. Der Kristall ist die zum Ding materialisierte
Geometrie, eine Verfestigung jener mathematischen Bewegungsordnung,
der die Sterne folgen. Der Mercedesstern verkörpert den Geist
der geometrischen Konstruktion und erinnert daran, daß dieser
ursprünglich der Himmelsmechanik abgeschaut wurde. Weil aus
der antiken Vision, der Kosmos sei eine nach rechnerischen Gesetzmäßigkeiten
funktionierende Maschine, die Entwicklung der modernen Technik
ihren Ausgang nahm, ist der Mercedesstern ein durchgängig
stimmiges Symbol für das Produkt, das er bezeichnet. Ein
Leitstern und Kristallisationskern der konstruktiven Vernunft,
das beste Symbol, das sich für hochstehende und traditionsreiche
Ingenieurskunst finden ließe. Nun läßt sich auch
sagen, warum die drei Diamanten der Firmentochter Mitsubishi sternförmig
angeordnet sind und warum der Chrysler-Stern einem kristallinen
Fünfeck eingeschrieben ist...
Das
Beispiel von Inhalt, oder auch Kontext, oder auch assoziierter
Bedeutungstiefe, das ich Ihnen nun gegeben habe, hat einen Haken.
Denn Sie werden jetzt zu Recht einwenden, daß ein kulturelles
Symbol, so aufgeladen wie der Stern, für einen Kulturwissenschaftler
selbstverständlich ein gefundenes Fressen ist. Sind nicht
die meisten Produkte viel prosaischer, viel simpler? Ich möchte
Ihnen jetzt von einem ganz besonders dummen Produkt erzählen.
Von der Schleifscheibe. Über die Schleifscheibe gibt es nichts
zu sagen. Die Schleifscheibe schleift. Wenn möglich auch
noch exakt, kräftig und langanhaltend, aber was schleifen
bedeutet, haben wir alle immer schon verstanden.
Die
Manager jener Firmen, deren Chefs oder Kommunikationsleiter mich
beauftragen, hassen mich immer, wenn auch nur in der ersten Woche.
Da kommt jemand von außen und will ihnen, die sie seit zehn
Jahren sich nur mit der Schleifscheibe beschäftigen, noch
etwas neues über ihr Produkt erzählen. Dieser Frechling
behauptet auch noch, Spezialist fürs Denken zu sein. Wer
hier denkt, das sind wir, sagen die Manager. Beim Denken hört
sich das outsourcing auf. Weil in unserer Kultur das Denken nicht
als Handwerk gilt, sondern als Genie-Urproduktion des intelligenzbegabten
Individuums, empfindet der Manager den Produktphilosophen instinktiv
als Kränkung und als natürlichen Feind. Zumindest die
erste Woche lang.
Warum
schleifen die Menschen seit Jahrtausenden alle Oberflächen,
mit denen sie in Berührung kommen? Tatsächlich wird
immer schon viel mehr geschliffen, als es um einer technischen
Funktion willen notwendig wäre. Das Glatte im Gegensatz zum
Rauhen ist eine universale Metapher der Kultivierung, der Überführung
des Natürlichen in einen menschengemäßen Seinszustand.
Aber warum ist das Menschliche das Glatte? Und warum feiert unsere
von tausendfachen unnötigen Glättungen geprägte
Kultur gleichzeitig an vielen Stellen demonstrativ das Rauhe,
das Wilde, das Rohe, Ungezähmte, das Naturbelassene? Warum
gilt es als abwertend, wenn man über jemanden sagt, er sei
glatt? Es ist die Differenz von Roh und gekocht, rauh und geschliffen,
natürlich oder verfeinert, die uns nicht loslässt. Diese
Differenz ist der zentrale Stoff jeder Kultur, ist das Thema,
um das sie kreist, ist ihr innerer Widerspruch, an dem sie sich
abarbeitet. Nur innerhalb der Kultur ist der Unterschied von Kultur
und Natur thematisierbar, für die Thematisierung ihrer selbst
als Selbstverfeinerung und Selbstabschleifung benötigt Kultur
ihr Gegenteil. Kultur ist eine große Schleifunternehmung,
daher sind Schleifscheiben zentrale Werkzeuge der menschlichen
Kultur.
Glatte
Oberflächen führten entwicklungsgeschichtlich dazu,
daß die Haut der Hände dünner und empfindlicher
werden konnte. Das wiederum ermöglichte eine Steigerung der
Bewegungsintelligenz der Hände. Polierte Flächen entlasten
zudem das Gehirn von der Dechiffrierung sinnloser Materialstrukturen.
Glättung ökonomisiert die Wahrnehmung, der taktile Datenmüll
muß nicht erst im Gehirn ausgefiltert werden, in der Folge
werden Kapazitäten der Aufmerksamkeit und Intelligenz frei
für Wichtigeres. Schleifen ist eine universale anthropologische
Kulturtechnik, die auf das Intelligenterwerden, Sensiblerwerden,
auf Kultivierung und Verfeinerung zielt.
Ebenso wie die Schleifscheiben der Firma Tyrolit erweisen sich
auch Küchengeräte bei näherer Betrachtung als doppelgesichtig,
als technisch und kulturell zugleich. Daß das Kochen ein
Thema der Kultur ist, ist klar. In welcher symbolischen Ordnung
aber das Funktionale und das Kulturelle miteinander verschränkt
und aufeinander bezogen sind, durfte ich im Auftrag des französischen
Geräteherstellers Moulinex näher untersuchen.
Dabei
faszinierte mich unter anderem der Mixer, der so viel öfter
gekauft als verwendet wird. In der japanischen Kultur hat das
Zerschneiden der Nahrung mit dem Messer die Funktion, das Naturmaterial
in einen Kulturzustand überzuführen, es zu differenzieren,
zu strukturieren, mit Einschnitten Unterscheidungen zu schaffen.
Der elektrische Mixer, das technologische Leitfossil der amerikanistischen
50er Jahre, operiert mythologisch in die entgegengesetzte Richtung.
Durch Maschinenkraft und mechanische Drehung des Messers vervielfältigt
er das Schneiden so weit, daß das Ergebnis nicht in etwas
Geschnittenem, sondern in Brei besteht. Das Scheiden als Differenzierungstechnik
wird funktional gewendet zur Entdifferenzierung. Noch das Verschiedenste
soll zur Einheit werden; Ziel ist eine moderne, stromlinienförmige
Nahrung, die der Kau- und Verdauungsanstrengung ganz übermäßig
entgegeneilt, dem Körper Totalentlastung verheißt und
zur Regression einlädt. Wie vom Mutterkörper wird vom
Mixer alle Nahrung in einen homogenen, nährenden Strom verflüssigt.
Im Milkshake des Rock n´Roll-Zeitalters artikuliert sich
die Vision des modernen Menschen, die Differenzierung im Bereich
des Maschinenbaus zu leisten, um sich, vom Gerätepark versorgt,
von der Anstrengung der kulturellen Differenzierungen entlasten
zu können und fröhlich zum Einfachen zu
regredieren. Das Messer des Mixers ist nicht analytisch, sondern
synthetisch: Das Plastikzeitalter symbolisiert sich in der Nahrung,
schafft Neues, zerschneidet das Band der Erinnerung an das Naturmaterial.
Dazu passte es, dass in den Fünfzigern die Mixer stromlinienförmig
designt waren. Seit etwa zehn Jahren aber erleben wir die Wiederkehr
des traditionellen Messers, zum Schneidekult überhöht
im hölzernen Messerblock, wo es in achtfacher Ausführung
darauf harrt, vom nun männlichen Hobbykoch an einem Wochenende
vielleicht doch ausnahmsweise einmal benützt zu werden.
Sie
werden nun sicherlich bemerkt haben, daß es mir nicht wenig
Freude bereitet, kleine Geschichten über die Dingwelt zu
erzählen. Entstanden ist diese Beschäftigung aus einem
ganz anderen Beruf, denn ich begann als Kunstkritiker. In dieser
Funktion war ich es gewohnt, das Atelier eines jungen Künstlers
zu besuchen und dort auf nie zuvor gesehene Dinge zu stoßen.
Auf Dinge, die auf den ersten Blick unverständlich, befremdlich,
oft auch abstoßend sind, und die doch mit dem Anspruch auftreten,
als Kunstwerke interpretiert, verstanden und vermittelt zu werden.
Dinge genau anschauen, über alle Details und deren Zusammenhänge
nachdenken, Wissen und Theorie hinzu ziehen und es in genüßlich
lesbarer Form aufschreiben, das war meine tägliche Aufgabe
als Kunstkatalogschreiber. Diese Vorgangsweise habe ich dann von
den Kunstwerken auf die banalen Alltagsdinge übertragen.
In der Folge habe ich für die Feuilletons der großen
deutschen Zeitungen Essays über Konsumgegenstände geschrieben.
In der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT schrieb ich Kolumnen über
30 verschiedene Arten von Schuhen, dann Analysen von ebenso vielen
Autozubehörteilen. Als Nächstes kam ich auf die Idee,
daß ja auch Unternehmen ein Interesse daran haben könnten,
über ihre Produkte forschen und nachdenken zu lassen. Schließlich
fand ich heraus, daß auch manche Werber ein Bedürfnis
danach haben, bevor sie aus dem berühmten Bauch heraus ihre
geballte Kreativität ins Rennen schicken, vielleicht ein
wenig Wissen zu benötigen, als Wettbewerbsvorteil, zur Inspiration,
zur Steigerung ihrer Seriosität und Kompetenz. Als mich die
Wiener Werbe-Agentur Demner und Merlicek beauftragte, eine Studie
über das Verhältnis von Marken und Handelsmarken aus
kulturwissenschaftlicher Sicht zu verfassen, erklärte mir
Franz Merlicek, wozu er mich engagiert hatte: Wir Werber,
sagte er, sind meistens nur so klug, wie das Briefing, das
uns der Kunde gibt. Das ist gut, wenn der Kunde ein komplexes
Wissen über seine Firma und sein Produkt hat. Wenn nicht,
müssen wir beginnen, systematisch mehr über unseren
Auftraggeber und sein Produkt wissen zu wollen, als dieser selber
weiß.
Dennoch
bleibt die Frage: Kulturwissenschaftliche Produktanalyse, schön
und gut, aber wozu braucht man das? Wenn es bisher verzichtbar
war, warum sollte es in Zukunft mehr sein als eine weitere unnötige
Geldausgabe, ein Wochenend-Bildungsprogramm für Worcoholics?
Dem
könnte man entgegnen, daß mehr zu wissen und zu verstehen
immer Wettbewerbsvorteile bringt. Es bleibt ja dem Kunden überlassen,
ob er dieses Wissen umsetzt und wie, ob er sich inspirieren läßt
oder bloß künftig Gewißheit darüber hat,
was er tunlichst verschweigen sollte. Doch es ist richtig, daß
der Nutzen bisher hauptsächlich für kommunikative Maßnahmen
besteht, die nicht überlebenswichtig für ein Unternehmen
sind. ZB. für die Entscheidung, welche Sorte von Kunst eine
Firma sinnvollerweise sponsern soll, damit sie selber auch davon
profitiert. Oder für die Entwicklung eines echten Kerns für
die viel beschworene Unternehmenskultur. Um einen fundierten,
komplexen und intelligenten Stoff zu haben für die Corporate
Identity - um überhaupt innerhalb der Firma argumentieren
zu können, warum die CI so oder anders definiert sein soll.
Aber das sind alles Luxusartikel für Unternehmen, und dazu
gehört die Kulturwissenschaftliche Produktanalyse auch, jedenfalls
bisher.
Warum
das ab jetzt anders wird, zu meiner großen Freude, möchte
ich Ihnen abschließend anhand eines großen Projekts
erklären, an dem ich derzeit arbeite, für einen Kunden,
den ich mit Bohnenblust und Haas gemeinsam habe den Swarovski-Konzern.
Swarovski ist eine der größten österreichischen
Firmen, jetzt mit Hauptsitz in Zürich, weltweit agierend,
sie erzeugt Schmucksteine und Nippes-Figuren aus Kristall, stellt
andererseits Ferngläser und Fernrohre her. Im Zuge meiner
Erforschung der Kulturgeschichte der Kristalle habe ich zB. herausgefunden,
daß der Österreichische Astronom Johannes Kepler die
Planetenbahnen nicht etwa deshalb entdeckt hat, weil er das Fernrohr
erfunden hat, sondern weil er fälschlich annahm, das Planetensystem
sei analog zu den Kristallwinkeln aufgebaut. Der falschen Annahme
folgte die richtige Einsicht. Er entwarf das Modell eines Kosmos,
bestehend aus ineinander verschachtelten Kristallen.
Das
wäre nun vielleicht nur eine nette kleine Anekdote, die die
Swarovski-Hauptprodukte Kristall und Fernrohr mit dem Herkunftsland
und langer Tradition verbindet - wenn es nicht heute das Internet
gäbe, und damit eine neue Struktur und neue Anforderungen
an die Firmenkommunikation. Im Internet besteht nur wenig Möglichkeit,
jemandem unerwünschte Botschaften aufzudrängen. Das
Push-Prinzip muß durch das Pull-Prinzip ersetzt werden.
Das heißt, Firmenkommunikation muß sich vom Interesse
des Senders loslösen und sich ganz den vielgestaltigen Interessen
der potentiellen Interessenten unterordnen. Im Internet muß
man interessante Geschichten erzählen, muß fesseln,
weil man niemanden mehr überwältigen kann. Weiters unterscheidet
sich das Internet dadurch von herkömmlichen Medien, daß
der Sender sich nicht für eine einzige kurze Botschaft entscheiden
muß, sondern eine beliebig breite und tiefe Information
dem Besucher zur Verfügung stellen kann. Im Internet entscheidet
der Konsument, was er wissen und sehen will, wie viel, auf welchem
Komplexitätsniveau, wie genau und in welchem Stil. Mit der
Wende vom Sender-Empfänger-Einkanal-System zur interaktiv
abgerufenen Information ist die Stunde der Inhalte und der Komplexität
gekommen. Die Ausrede, Werbung muß dumm sein, weil ja die
meisten Kunden ohnehin dumm sind und nur die Menge interessant
ist, zählt in diesem Medium der freien Wahl nicht mehr. Die
Zukunft der Kommunikation liegt daher in verschachtelten Komplexitätsebenen,
im Angebot zum Immer-tiefer-Reinklicken, im interessanten Angebot.
Wenn
es auch gegenwärtig so ist, daß man ganz treffend und
ohne Zynismus sagen kann: Wir brauchen keinen Inhalt, wir haben
ja neue Medien, und das Medium ist ohnehin die Botschaft
so sind doch die Tage der bloßen Medienbegeisterung gezählt.
Sobald es selbstverständlich und langweilig geworden ist,
daß jeder seine Homepage hat, zählt der Inhalt mehr
als je zuvor. Inhalt, der interessant genug ist, daß jemand
die Firma im Netz freiwillig besucht, nicht bloß, um ein
Beispiel für Internetdesign und neueste Flash-Animationen
zu besichtigen.
Die
Firma Swarovski hat mich beauftragt, den Aufbau eines virtuellen
Kristall-Museums im Internet vorzubereiten. Im Zusammenspiel mit
e-commerce wird dieses virtuelle Firmenmuseum künftig so
etwas wie die große Auslagendekoration oder die Erlebnisinszenierung
eines Kaufhauses sein. Den elektronischen Laden kann man dann
ein wenig wie einen Museumsshop begreifen. Das ist ein Shop, in
den man so gerne geht, daß man sogar wie in einem Museum
dafür bezahlen würde, vor dem Souvenierkauf die große
Auslage besichtigen zu dürfen. In Zukunft, so meine ich,
wird das Medium Internet nicht mehr neu genug sein, um sich selbst
zu genügen. Das Medium wird wieder eine Message, einen Inhalt
brauchen.
Das
hat nun alles kompliziert geklungen und altmodisch dazu
Inhalt, Kultur, Wissen, Text. Aber diese alte Komplexität
will nichts anderes, als von Werbern und Unternehmern umgesetzt
werden in neue und einfache Lösungen.
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