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Es gibt kein Wahres im Falschen, meinte Adorno. Es gibt kein Falsches mehr bei Waren, lautet der heutige Befund. Mein letztes authentisches Authentizitäts-Erlebnis beim Kennenlernen verschaffte mir ein verstrubbelter langhaariger Künstler. Seine dank (echter?) Löcher credibility-gesättigte Streetwear toppte er durch die delikate Kombination mit einer falschen Gold-Rolex. Das kam irgendwie gut!
Wäre seine Uhr zufällig echt gewesen, was ich ja nicht unterscheiden konnte, so hätte es sich dabei eben nicht um ein „real fake“, sondern um ein „fake fake“ gehandelt, was im ansonsten recht präzise durchformulierten Kontext der Erscheinung dieses Mannes aber keinen starken Unterschied gemacht hätte. „Fake fake“ nennen amerikanische Kulturtheoretiker mittlerweile den Fake zweiter Ordnung. Wir könnten deutsch auch Fälschungsfälschung dazu sagen und uns vor den sprachlichen Folgewirkungen der nächsten Drehung der modischen Zitations-Spirale zu fürchten beginnen.
Wer in einer Welt aus lauter Kopien noch originell sein, ja vielleicht sogar als ein „Original“ angesehen werden will, muss heute beim Einkaufen nicht mehr unbedingt zu Originalen greifen. Ein Fake, richtig platziert, kann der „Überschmäh“ (so der Wienerische Ausdruck für „fake fake“) sein. Wenn auch nur im Kontext der fortgesetzten und erweiterten Suche nach dem Authentischen. Auch die avanciertesten Konsumenten halten eisern an dem althergebrachten Irrglauben fest, durch Ausstattung mit „Authentischem“ ein Individuum werden zu können. Oder zumindest ein klein wenig individualistischer als die Massen der Mitindividualisten.
Der Konsument von heute bezieht die Authentizität seiner Individualität nicht mehr aus der simplen Identifikation mit einer „exklusiven“ Marke, sondern aus der Demonstration seines ambivalenten Verhältnisses zu dieser. Ästhetische Brüche müssen dem Markenoriginal beigegeben werden, damit die reflexive Distanz, die Fähigkeit zur Ironie und das Verständnis für Strategien wie „Brechung, Subversion und Code-Hacking“ dem Individuum den Ausweis seiner singulären Identität ausstellen. Solche Fähigkeiten auszubilden und herzuzeigen erscheint vielen Individualisten als letzte Rettung ihrer herausragenden Unterscheidbarkeit. Als Kompetenzen werden sie dem „Inneren“ zugeschlagen und subjektiven Vollzügen wie Urteilskraft, Kenntnis und Kreativität angerechnet. Der ästhetische Riss im Äußeren verweist damit auf ein Inneres, das in postmoderner Manier auf einen „Wesenskern“ verzichten gelernt hat und die „Differenz“ als einzige, wenn auch schwache Substanz seiner Selbst akzeptiert hat.
Damit hat sich die Quelle der Authentizität von den Waren in die Konsumenten verlagert. Diese sind nun als Interpreten, mehr noch, als Um-Interpreten herausgefordert. Ihre Fähigkeit, bekannte Elemente zu rekodieren, müssen sie nun durch geschicktes Selektieren und Kombinieren beweisen. In einer Welt der freien Kombinatorik sind die Bedeutungen der Dinge ganz und gar von den wechselnden Kontexten abhängig geworden.
Wer echt mit falsch kombiniert, wird dadurch scheinbar noch echter. Die Demonstration von Ironiefähigkeit ist an die Stelle des Markenzeichens getreten. Leider ist mittlerweile auch der in Dauer-Ironie und abgehobener Produkt-Kombinatorik schwelgende Urbanhedonist zum Massenphänomen geworden. Sogar der „Falter“-Leser, gewohnt, seine Individualität ganz allein auf politische Kritikfähigkeit zu gründen, muss sich von seinem geliebten Anti-Mode-Magazin den Spiegel des „Bobo“ vorhalten lassen. Ihm wird bescheinigt, moralische und politische Haltungen jeweils in „light“-Versionen als Versatzstücke seines Persönlichkeits-Designs zu missbrauchen. Der Bobo ist ein Gourmet der Kombinatorik möglichst unvereinbarer und entlegener Angebote. Er wählt grün, weil er Kapitalist ist, fährt im Porsche zum fair-trade-Laden einkaufen und kleidet sich im stilsicheren Mix aus Prada, Caritas und Zara. Der Bobo ist der Schrecken aller Marktforscher und Zielgruppengläubigen. Das einzige, was er sicher nicht kauft, ist das Naheliegende, das Erwartbare, das Passende. Er sucht durch Unberechenbarkeit einen kleinen Vorsprung gegenüber allen Kopisten und Vermarktern zu halten.
In den Neunzigerjahren haben wir lernen müssen, dass das Hässliche das noch Schönere, das Randständige ein zentrales Interesse, das Altbackene das Innovativste ist: Retro, Trash und Old School haben unsere ästhetische Urteilskraft von allen normativen Banden befreit. Parallel dazu hat das Wuchern der Marken und Pseudomarken ein Wiedererkennen und Orientieren im Konsumdschungel weiter erschwert. Für die Entfaltung von Individualismus sollten das ideale Voraussetzungen sein. Wenn jemand seine gesamte Wohnung im 70er Jahre Retro Stil neu einrichtet und dazu die passenden Klamotten trägt, lässt sich nicht einmal mehr urteilen, ob er das auf der Suche nach Authentizität oder als Ekstase des Fakens so inszeniert. Mitten im Falschen kann die Nicht-Identität des Individuums, der Bruch zwischen Innen und Außen, eine neue Strategie sein, die gute alte Seele wieder hinter einer Fassade in Sicherheit zu bringen.
Allen Strategien der Individualisierung ist gemeinsam, dass sie ihr Ziel nicht erreichen können. Denn eine absolut einzelne Erscheinung wäre semantisch sinnlos – niemand könnte sie als solche erkennen, niemand sie als Ausdrucksform des Individuums verstehen. Zeichen müssen in Verkehr sein und für viele gelten. Und nur mittels Zeichen kann man sich als Individualist profilieren. Das wahrhaft Singuläre kann logisch nur als Unkommunizierbares auftreten. Wer sich als Einzelner mitteilen will, muss dafür Elemente benutzen, deren Bedeutung mindestens ein zweiter Mensch dechiffrieren kann. Das hindert freilich manche Extremisten nicht daran, hart an der Intersubjektivitäts-Grenze dahinzusegeln und sich dabei nur noch selbst ziemlich hip vorzukommen. „Stell dir vor, ich bin authentisch, und keiner sieht hin!“
Der Erfolg von H&M basierte bisher darauf, dass man beim Betreten jedweder Filiale von der ansonsten allgegenwärtigen Verunsicherung, was echt und was falsch ist, entlastet wurde. Hier, und nur hier, konnte man sicher gehen, ist alles fake. Leider ist in dieser Hinsicht auch H&M nicht mehr das, was es einmal war. Nicht nur faked Karl Lagerfeld neuerdings sich selbst, indem er gleich direkt für seine Kopisten entwirft (so entfällt ein Arbeitsgang, der des Kopierens). Auch konstruieren Hennes und Mauritz zunehmend die von ihnen angebotenen Kleidungsstücke durch Auswertung der statistischen Ergebnisse des Verkaufs an den Scannerkassen. Das trend-analytische Feedback auf den Kauf erfolgt in Echtzeit, durch maschinelle Warenproduktion. Interpretation und Gestaltung werden zunehmend überflüssig. Damit ist der Konsument nicht mehr nur Interpret und Kontextualisierer, sondern auch gleich der Designer jener Klamotten, die er drei Wochen später als neue Mode vorgesetzt bekommen wird. Ich kann nur beten, dass die Konsumenten wissen, was sie künftig wollen werden. Und dass sie die möglichen bösen Folgen mitbedenken, die eine spontane Geschmackverfehlung im H&M-Store für uns alle haben kann. Denn ich weiß leider immer nur, was ich jetzt will, und bin deshalb dankbar für jedes Angebot, das ich nicht vorhersehen konnte.
„Um wirklich in zu sein, musst Du die Regeln auf eine bestimmte Weise brechen; wenn Du nur in bist, bist Du out.“ Diesen Satz, mit dem nun schlussendlich alles gesagt sein sollte, formulierte Slavoj Zizek, der derzeit weltweit „in-ste“ aller Philosophen. Wenigstens seiner Wahrheit sollten wir vertrauen. Sofern sie nicht als Fake gemeint war. Aber auch dann war sie immerhin gut zitiert. Oder nicht?
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