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Derb, schwer, simpel und bodenständig - das sind die Attribute, die dem Fleischknödel vom derzeitigen kulturellen Nahrungs-Code zugeordnet sind. Diese Zuweisung sagt jedoch weder etwas über die Differenziertheit des Codes noch über den unterschwelligen Bedeutungsreichtum des Gegenstands, der damit zugunsten gegenwärtiger Tendenzen denunziert werden soll. Die folgenden Überlegungen zielen auf das Sublime dieses derben Gerichts und fragen nach dem Grund seiner genußsteigernden Verpönung.
Im Umfeld des aktuellen Kults der Leichtigkeit, Gesundheit und Frische nimmt sich der Fleischknödel geradezu als Exot aus, als Relikt aus einer Epoche, in der das Schwere noch etwas galt. Der Übergang vom Schweren zum Leichten folgte einem Wandel in der Arbeitswelt. Schwere Nahrung war traditionell auf eine Stärkung des Körpers gerichtet, vor dem Hintergrund möglichen Nahrungsmangels wollte sie den körperlich arbeitenden Menschen in seiner Kraft, weitere Nahrungsmittel zu beschaffen, fördern. Da Akkumulation das Ziel war, zeigten die traditionellen Gerichte auch ein hohes Maß an in ihnen akkumulierter Hausarbeit an. Die im Essen sichtbare investierte weibliche Arbeitsintensität sollte real wie symbolisch akkumulativ Eingang finden in den außerhäuslich produktiven Männerkörper. Die heutigen Nahrungswerte hingegen sind sinnhaft auf die Büroarbeit bezogen. Im Büro ist der Körper allenfalls ein Störfaktor, weshalb er der Erleichterung bedarf. Die körperliche Unterforderung des nur geistig arbeitenden Menschen führt dazu, daß dieser sich im Büro alles andere als frisch, gesund und leicht fühlt. Die modernen Nahrungsmittel kompensieren metaphorisch die Mißlichkeiten des unnütz gewordenen Kopfarbeiterkörpers. Woraus erhellt: Der Fleischknödel als typische Körperarbeiternahrung ist für den Büromenschen ein kulinarisches Projekt der Rückgewinnung von Körperfühlbarkeit und Körpersinn. Die Hausfrau als Repräsentantin jenes geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungsmodells, das historisch für die Genese des Fleischknödelrezepts unabdingbar war, wurde mittlerweile funktional durch Maschinen und imaginär durch ihre Abbildung auf der Tiefkühlpackung ersetzt. Hauptadressat des Tiefkühlprodukts ist der Mikrowellen-Single als Hausmann der Gegenwart. Logo und Markenname haben die Bedeutungsverschiebung des Begriffs „Hausmannskost“ registriert, festgeschrieben und verstärkt.
Geschichte und Bedeutungswandel des Fleischknödels spiegeln den allgemeinen Aufstieg von Techniken zu Artefakten. Der Fleischknödel ist aus der Not geboren: man warf die Fleischreste und minderen Stücke nicht weg, sondern verarbeitete sie weiter, indem man sie durch Zerkleinern und Ummanteln unkenntlich machte. Vom Recycling-Zwang beim Resteessen armer Leute will der heutige Fleischknödel nichts mehr wissen. Aus einer Notlösung ist eine kulturelle Tugend geworden. Aus einer Konservierungstechnik ist durch Verselbständigung ein Mythos geworden, der nun von industriellen Simulacren verkörpert wird. Der Tiefkühl-Knödel recycled nur noch das Image einer verflossenen Produktionsweise. Die traditionelle Konservierungsfunktion der beschönigenden Zusammenfügung diverser abfallnaher Relikte zum Knödel ist ersetzt durch die Konservierungstechnik des Tiefkühlens. Dieser technische Funktionsverlust setzt den Fleischknödel frei für symbolische Funktionen wie etwa Körperarbeits-, Hausfrauen- und Familientischnostalgie.
Fleisch wird, nachdem es dem getöteten Tier entrissen wurde, in fortschreitendem Maße zerteilt. Auf den Teller kommt es in der Regel in einer Zerteilungsgröße, die nicht mehr an Tiere und Schlachtungsgewalt erinnert, die aber auch nicht so weit geht, die auf die Einverleibung folgenden Zerkleinerungszustände vorwegzunehmen. Das aus der Recyclingfunktion geborene Manko des Fleischknödels, daß sein Inneres an Vorgekautes und Vorverdautes erinnert, hat zur ästhetischen Kompensation durch Rekonstitution eines Eßobjekts, zur Knödelbildung also, geführt. Der Knödel nimmt die bei Resten allzuweit fortgeschrittene Zerteiltheit des Fleisches zurück. Beim Zerteilen des Knödels wird das alte Fleisch aus dem frischen Knödel wiedergeboren bzw. nochmals symbolisch geschlachtet. Fleischknödel und Tiefkühlkost haben daher eine strukturelle Gemeinsamkeit: sie lassen Getötetes wieder aufleben vor der endgültigen Einverleibung. Im Tiefkühl-Fleischknödel bildet sich dieser Kult des Doppellebens lebensspendender Nahrungsmittel doppelt ab. Kein Wunder also, daß er uns so gut schmeckt.
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