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Die Frankfurter Automesse IAA hat ihre Pforten geschlossen. Zahllose Innovationen wurden mit erheblichem Aufwand präsentiert. Lichterzauber markierte die Neuheit des Golf, Tänze und Gesänge huldigten der um vier Zentimeter verbreiterten Spurweite des Astra. Die Liebe zum immer filigraneren Detail verbindet die Automobilhersteller mit dem Automessenpublikum, nicht zuletzt mit den Motorjournalisten. Inmitten der Fülle kleinster technischer „Lösungen“ (wie dem gelgedämpften Haltegriff von VW) ist die Sicht aufs Ganze getrübt. Erst im Rückblick taucht die Frage auf, wohin das Auto insgesamt unterwegs ist. Wie es die Gesellschaft spiegelt, den Einzelnen umkleidet und das gewandelte Geschlechterverhältnis verkörpert.
Der morgendliche Anmarsch zum Ausstellungsgelände bot ein selten gewordenes Bild der Geschlechtertrennung. In Fünferreihen wackelten Männerköpfe in einer hunderte Meter langen Schlange auf den Messeturm zu. Vom Hinterhaupt leuchtete als weißer Fleck das immergleiche Haarproblem, aus den Augen die Gier nach dem Porsche Cabrio. Dieses gilt als Frauenfalle. Leider nur unter Männern. Denn Frauen gehen mit Autos, wie psychologische Studien beweisen, mehr „vernunftgesteuert“ um.
Nicht Ausgrenzung, sondern schlichtes Desinteresse am Autoprunk ist für die geringe Zahl weiblicher Besucher verantwortlich. Nach dem Einlaß in die bunten Bühnen der Konzerne wandelt sich das Bild, denn dort warten Hostessen, die so zahlreich, jung und außerordentlich hübsch sind, daß die männliche Konzentration aufs Autodesign schweren Schaden leidet. Wer jenseits seines Fernsehgeräts eine Mädchenschar von so bezaubernder Schönheit zu betrachten wünscht, kommt um den Besuch einer Automesse nicht herum.
Diese Inszenierung eines idealtypischen Patriarchats, in dem das Auto noch „reine Männersache“ wäre, beschränkt sich jedoch auf die Präsentation. Die neuen Autos passen in diese Urszene immer weniger hinein. Die in den Siebzigerjahren gern geäußerte Kritik an der phallischen Kühlerhaube, die für den Autowahn verantwortlich sei, indem sie Männer zum Kauf verführe, greift nicht mehr. Denn die Frau als Autokäuferin hat die lange Schnauze kräftig zurückgestutzt und den Akzent auf die Größe der Heckklappe und des Stauraums verlagert. Der Wunsch nach Kinderwagentauglichkeit ist nicht minder erotisch und triebhaft motiviert als der männliche nach dem Boliden – er ist bloß weiblich und genießt daher den Anschein höherer Moralität und Vernünftigkeit. So wandelte sich das Auto tendenziell vom Streitwagen zur Festung, vom Reittier zum Mäusenest, von der Jagdwaffe zur Familienhöhle mit integriertem Einkaufskorb. Daß für Kindersitze sicherere Halterungen entwickelt wurden, war eine der meistgepriesenen Fortschritte des Wagenbaus auf der IAA.
Freilich stehen die Männer nirgendwo so dicht gedrängt wie um den amerikanischen „Viper“ oder den sportlichen „Jaguar“, doch derlei böse Schnauzentiere nehmen sich inmitten der Mehrheit versachlichter Zügelungen verschwindend aus. Die Gegenform des Keils, die mit kleinem Motorraum und aufgeblähtem hinterem Volumen den Motiven des Bergens und In-sich-Sammelns alle Rechte einräumt, ersetzt das männliche Prinzip der Weltpenetration durch das weibliche der Ladeluke und des schützenden Transports. Für diesen Interessenskonflikt zeigte die IAA einen genialen Lösungsweg: Männer- und Frauenfahrzeug vereinen sich zum gemeinsamen Ei. Die Ei-Form dominiert, geduckt, gebeult oder ein wenig plattgequetscht, das Automobildesign. Nicht nur in der Silhouette, sondern auch in der Gestaltung der Fenster-, Licht- und Cockpitzonen.
Die Trendwende vom lustvollen Risiko, wie es in der Männerdomäne des Rennsports immer noch vorherrscht, zum gepolsterten Panzer und zur rollenden Knautschzone steht ebenfalls mit der Feminisierung des Autos in engem Zusammenhang. Für den Airbag wird mit der Metapher eines Kondoms geworben, der Doppelairbag gar mit einem prallen Busen verglichen. Schon mit dem Aufkommen des „Mazda-Baby“ und dem „Mini-Van“, der Alleinerziehenden wenigstens formal den Traum vom Großfamilienbus erfüllt, wurde der Weg zur Symbolisierung weiblicher Wünsche eingeschlagen - erfolgreich, denn damit gewinnt das Auto an Immunität gegenüber der traditionellen Kritik. Was Frauen wünschen, kann so weltzerstörerisch nicht sein.
Das Familienauto von einst war ein rollendes Wohnzimmer, gesteuert vom Papa; man saß auf einer Bank und hatte genug Raum, um den eigenen Körper von dem des Fahrzeugs unterscheiden zu können. Heute ist man im Auto eingekapselt, plüschweiche Ergonomie drängt sich an die Körper und läßt sie mit dem Fahrzeug verschmelzen. Man schlüpft ins Auto wie in einen zärtlich weichen Handschuh, der einem – dank Elektroniksteuerung – behutsame individuelle Reaktionen verspricht. Im engen Kuschelcockpit wird man mit dem großen Autokörper eins. Ganz zurecht sagt man nach einer Kollision zweier Autos: „Ich bin in jemanden ´reingefahren“.
Mit den Familien schrumpfen auch die Autos. Die heurige IAA wird durch den Sieg des Verkleinerungsprinzips in die Automobilgeschichte eingehen. Daß Mercedes nun auch Kleinstautos baut, gleicht als Durchbrechung heiligster und ältester Gesetze einem Sündenfall, ja einer Abdankung der Großmannsucht, und das begleitende Pathos könnte ergreifender nicht sein. Größer, schneller, weiter, das sind Ziele von Gestern, der neue Wettbewerb heißt kleiner, leichter, sparsamer. Um überleben zu können, hat das Auto sich die Kritik zu Herzen genommen und moralische Besserung gelobt. Sinnlos wäre es daher, sich über die Häßlichkeit, Ununterscheidbarkeit und Langweiligkeit des Designs zu beschweren: Äußere Unansehnlichkeit gilt heute als bester Beweis für innere Moralität. Die chromerzeugende Industrie wird an der Moralisierung des Autos zwar zugrundegehen, der Autokauf jedoch an Legitimität gewinnen und entsprechend zunehmen.
Phantastische Wünsche und technische Funktionen sind im Autobau keine Gegensätze. Der moderne Wagen vereint die metaphorischen Qualitäten eines aggressiven Projektils mit denen einer behütenden Wonnekapsel. Technik scheint immer vernünftig, egal, welchen Verwendungsstilen und Zwecken sie dient. Denn was immer sie unter dem Titel der „Effizienz“ einspart, verschiebt sie nur hin zu einer anderen symbolischen Verausgabung. Ob man um die Beschleunigungswerte zwischen zwei Ampeln konkurriert oder, wie im digitalen Simulator von VW, um Spritverknappung, macht für die Lust keinen Unterschied. Und für den Rohstoffverbrauch auch nicht, denn selbst die größte Einsparung wird durch das Wachstum des Verkehrs kompensiert.
Von den Lüsten viriler Jugendbanden, die ihre Auspufftöpfe aufbohren, um möglichst laut und Rauchschwaden ausstoßend um den Block zu knattern, ist das moderne Auto weit entfernt. Man will das Baby rein kriegen, es soll möglichst wenig trinken, bescheiden sein, klein bleiben, sich leicht handhaben lassen und hinten nicht stinken. Daß der individuelle Stoffwechsel des Autos gedrosselt werden muß, ist heute Übereinkunft, egal, wieviel Umwelt insgesamt durch die steigende Anzahl von Autos in Beschlag genommen wird. Und für die Demonstration von Ökogesinnung ist der modische Fahrradhalter auf dem Dach gut genug.
Das einzelne Auto wird sauberer, kein Zweifel. Doch auf seinem Lebensweg hinterläßt es Abfälle anderer Art, die für den Käufer unsichtbar bleiben und daher nicht so stark aufs Gewissen drücken. Die Techniken nämlich, mit deren Hilfe der Benzinverbrauch gesenkt wurde, sind hochgradig sensible elektronische Steuerungsmodule, die so kompliziert sind, daß sie nicht mehr repariert werden können, sondern nur noch insgesamt ersetzt und entsorgt. Blickt man den neuen Kleinwagen unter ihre Motorhauben, ist es mit der Idee der Verschlankung vorbei, denn eine verwirrende Fülle verkabelter schwarzer Kästchen staut sich eng gepackt hinter dem Blech. Nur äußerlich hat sich das Volumen des Fahrzeugs verkleinert, sein Inneres hingegen ist randvoll ausgestopft mit Maschinerie.
Die Anzahl der Teile ist kontinuierlich gewachsen. Gerade deshalb bemüht sich das Erscheinungsbild, die Idee des Teils auszulöschen. Wie aus einem Guß muß das Ei sein, keine Fuge darf sich zeigen, die Haut darf keine Löcher haben. Daher wurde die Stoßstange abgeschafft und durch einen lackierten Wulst ersetzt – die Lackierer freuen sich jetzt schon auf Parkschäden. Doch der elektronische Parkhilfesensor wird auch dieses Problem lösen. Wir können darauf vertrauen.
Die eben als Feminisierung skizzierte Entwicklung des Autos ist zugleich eine der Mäßigung, der Schuldabtragung und Bescheidung, der Nach-innen-Wendung des Außendrangs. Weil die Autotechnik aus den Exaltiertheiten des männlichen Balzverhaltens geboren wurde, ist die weibliche Domestizierung blecherner Imponiergebärden ihr zivilisatorisches Schicksal. Jaguar verabschiedet den Zwölfzylinder und begnügt sich symptomatisch mit Achtzylindermotoren. Das Auto selbst ist vernünftiger geworden, nicht aber der gesellschaftliche Umgang mit ihm. Die ihm abgeforderte Vernunft hat es verinnerlicht und verdinglicht. Parallel zur Menschenseele wurde auch das Fahrzeug vom Zivilisationsprozeß erfaßt. Die in Einzelautos zerlegte und privatisierte Vernunft addiert sich jedoch zugleich kollektiv zu kultischen und wahnsinnigen Gebilden wie Rennen und Staus. Zum Glück! Denn andernfalls wäre das Leben in der Autogesellschaft äußerst langweilig und in der Folge das Auto gänzlich verzichtbar.
Zweifellos ist der neue Golf – ebenso wie der alte – ein äußerst vernünftiges Auto. Die Frage ist jedoch, was das für die menschliche Vernunft bedeutet. Ginge es beim Autofahren um einen technisch und kostenmäßig effizienten Ortswechsel, wäre das Auto längst abgeschafft. Doch sein Daseinsgrund ist ein Bündel an Lüsten, denen gegenüber die technische Rationalität nur psychische Rationalisierung ist. Im Kern ist das Auto ein vieldeutiges Symbol, das bloß äußerlich getarnt wird mit den Gesten technischen Fortschritts. Tausend kleine Effizienzsteigerungen einzelner Teile können nichts daran ändern, daß das Ganze des Autos keinen vernünftigen Grund besitzt.
Dies ist jedoch nicht zu kritisieren, im Gegenteil. Höllisch wäre vielmehr ein tatsächlich vernünftiges gesamtgesellschaftliches Transportsystem. Das Prinzip der Ameisenstraße, das von einigen Verkehrsplanern herbeigewünscht wird, brächte den Menschen nur in die Nähe zum Insekt. Der Wunsch nach Würde und Besonderheit, nach Verschwendung und heroischer Selbstgefährdung suchte sich augenblicklich ein neues ruinöses Terrain, um sich auszutoben.
Gegenüber den Freuden des Fahrens würde ein elektronisches Verkehrsleitsystem ähnlich wirken, wie es der Stau jetzt schon tut. Bei beiden handelt es sich um Formen der Selbstbeherrschung des Autos. Nicht mehr weite Strecken, sondern fremde Wagen hemmen den Fahrer vor der Erreichung seines Ziels. Die Inszenierung des Messezelts dient dem Ausblenden jener anderen Autos, die draußen auch dem schnellsten Ferrari den Weg verstellen. Mit der Schrumpfung seines Volumens reagiert das Automobil symbolisch auf die übermäßige Gesellschaft seinesgleichen. Freie Fahrt für freie Bürger wird es erst wieder geben, wenn die Zweidrittelgesellschaft zwei Drittel so arm gemacht hat, daß sich die Straßen wieder leeren. Für Autos und Umwelt wäre das ein ideales Biotop, ob für uns Menschen, bleibt fraglich.
Bis dahin stehen wir lieber solidarisch im Stau und verzichten füreinander auf jenes rasche Vorankommen, das der ursprüngliche Zweck des Autos gewesen wäre. Doch auch inmitten des staureichen Autosozialismus wollen wir uns sozial dadurch unterscheiden, ob wir auf Ledersitzen schwitzen oder zum Wurzelholzimitat für den Schaltknüppelknauf greifen müssen. Je größer der Stau, desto dringender wird der Wunsch nach einem stärkeren Motor. Auf den Verlust an äußerer Wirklichkeit des Vorankommens reagiert das Auto mit einer Steigerung seiner inneren Möglichkeiten.
Abends sitzt ein erschöpftes Pärchen an der Würstchenbude vor den Toren der IAA. „Nie wieder“, sagt die Frau. Der Mann hört ihr nicht zu, greift zum Bier und grölt: „Jetzt Schiebedach auf, Fenster runter und Gaaaaaas!“
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