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Daß
das Telefon ein Teil der Konsumwelt ist, merkt man spätestens,
wenn man die Telefonrechnung in Händen hält. Doch was
ist das Objekt des Konsums? Der Apparat mit seinen Fähigkeiten
und Eigenschaften, mit seinem Design, seiner Dinglichkeit oder
gar Körperhaftigkeit?
Drängen die bildlichen Phantasien aus den Werbeanzeigen zur
Realisierung? Ist es der gemietete Verbindungsdraht in seiner
Wirkung oder genießt man schon die bloße Möglichkeit
globaler akustischer Verfügungsmacht (wie es die Grundgebühr
nahelegt)? Ist es das Gespräch als eine Kette effektvoller
Reize - oder als Seelenventil? Geht es um die Aneignung von Information
oder um das Gefühl des Verbundenseins? Oder ist es der abwesende
Körper des Gesprächspartners, auf den der Akt der Aneignung
verfehlend zielt?
Um
die zwischen diesen Elementen bestehenden Verhältnisse zu
erkunden, vorweg ein kleiner Erlebnisbericht aus dem Telefonalltag:
Anita, Publizistikstudentin aus Wien und 23 Jahre jung, wurde
kürzlich am frühen Morgen von ihrem um 30 Jahre älteren
erfolglosenVerehrer aus der Dusche geklingelt. Ein besonderes
Informationsanliegen war dem Anruf nicht zu entnehmen. "Du
bist also gerade nackt - und ganz naß? Schön! Dann
wirst Du jetzt luftgetrocknet, wie Bündner Fleisch, ha ha...
Ich liege noch im Bett, bin gerade aufgewacht... da hab' ich mir
das Handy gegriffen, wollte Deine Stimme hören...".
Abgesehen
von der ungewöhnlich frühen Uhrzeit wäre an diesem
Anruf nichts besonderes gewesen, hätten sich da nicht leise
Nebengeräusche, ein "Scheuern, Röcheln und Schnaufen",
so Anita, verdächtig zwischen die Worte gemengt: "Der
Alte hat es offenbar schon nötig, seine automatische Morgenerektion
auszunutzen, um mich mit Telefonsex zu belästigen. Liegt
doch glatt am Rücken und läßt sich von dem aufständischen
Ding unter seinem Bauch dazu inspirieren, auch noch die kleine
Antenne seines Handtelefons hochzufahren, um mir damit in den
Ohren zu liegen", beschwert sich Anita, mehr belustigt als
empört.
Die
frühmorgendliche Telefonsexattacke erscheint ihr als Effekt
des metaphorischen Verhältnisses zwischen elektronischem
und organischem Handwerkszeug. So klein, handlich, beweglich und
immer in unmittelbarer Körpernähe ist das Handy, daß
es beinahe schon zum Körper gehört wie eines seiner
Organe.
Erst
hat das Telefon die Ferne, dann in Form des Handy sich selber
nahegebracht. Gesunken ist dabei die Hemmschwelle der Benutzung.
Die Externalisierung der immer schon fernwirkenden Sprech- und
Hörorgane in die Telefonmaschine hat sich auf den Weg der
Rück-Einwanderung in den Nah- und Intimbereich des Körpers
gemacht. Im Bett und in der Hose ist das Handy schon angekommen.
Daß das Telefon als Medium das Verhältnis von Nähe
und Ferne zwischen Menschen modifiziert, hat sich nun seinem Apparatekörper
eingeschrieben: als Handy ersetzt es metaphorisch die dem gehörten
Gesprächspartner fehlende Körpernähe.
Während
das an einem Kabel hängende Telefon noch sichtlich auf seine
Medialität besteht, kann das abgekoppelte Handy bereits als
autonomes und intimes Objekt figurieren - als Übergangsobjekt
zwischen dem eigenen und dem fremden Körper. Wer mit dem
Handy telefoniert, konsumiert dabei auch die glorios verselbständigte
Dingform der Maschine. Als selbstverständliches Zubehör
eines Männerkörpers - rund um die Uhr, rund um den Globus
- läßt sich das Handy in der einen Hand vom Spatz in
der anderen Hand schließlich kaum noch unterscheiden, was
seine Organqualität, was seine Lust-, Ankopplungs- und Verfügbarkeitspotentiale
betrifft. Sind einmal private und öffentliche Sexrufnummern
gespeichert und mit den Kurzwahltasten anwählbar, so können
Penis und Handy jederzeit in Sekundenschnelle zu einer Lustmaschine
verbunden werden, die den dazwischen befindlichen Restkörper
samt Kopf zum Tanzen bringt.
Im
Orgasmus schließlich verschmelzen die Stimme und das Phänomen:
An die Stelle artikulierten Sprechens tritt die pure Lautlichkeit
des Schreis. Der Schrei, selbst integraler Bestandteil des Lustcodes,
beschwört eine Verbindung, die reines Strömen ohne Einschnitte
wäre. Das Telefongespräch bewegt sich zu auf den Horizont
seiner Nichtartikulation: auf die Utopie, das aufschiebende digitale
Impulsieren überspringen und zur strömenden Leitung
selber werden zu können. Dies erst wäre der ultimativ
verbindende Zusammenfall von Ich und Welt, Ich und Du, der Optimalkonsum
also, welcher diesseits der Paranoia glücklicherweise nicht
eintreten kann.
Daß
zwischen mir und meiner Verbindung ein Unterschied bleibt, dafür
sorgt in mir mein Bewußtsein, in der elektrischen Maschine
der "Widerstand", vor meinen Augen aber sorgt dafür
als Ding das Telefon. Der Philosoph und Psychoanalytiker Rudolf
Heinz sprach einmal von der "versetzten Nabelschnurstummelhaftigkeit"
des Penis und dem "Umstand, daß dieser Stummel nicht
hinlänglich zur Nabelschnurfortsetzung verlängert werden
kann." Als Ersatz für die Nabelschnur wird der Phallus
zum Symbol einer immer schon verlorenen Vollständigkeit.
Wer telefoniert, schließt sich damit nicht nur an einen
Menschen und dessen Stimmfluß an, sondern zugleich an ein
weltumspannendes Leitungsnetz, welches prinzipiell eine Einheit
bildet, die es nur gestattet, in ihr zu sein oder abgekoppelt.
Alles in der Welt ist vielfältig, nur das Subjekt für
sich und das Telefonweltnetz an sich sind notwendig je eines.
Jean
Cocteau läßt in seinem Ein-Personen-Stück "Die
geliebte Stimme", einem telefonischen Liebes-Trennungs-Drama,
die Protagonistin sagen: "Ich weiß, es ist sehr albern,
aber ich nehm das Telefon ins Bett, weil es einen doch schließlich
verbindet, trotz allem. Es reicht doch bis zu dir, und dann versprachst
du mir, mich anzurufen. Und stell dir vor, da hatte ich eine Menge
seltsamer Träume. Der Anschlag der Telefonglocke wurde zum
Schlag, den du mir gabst, und ich stürzte. Dann war's, als
würge mich jemand am Hals. Und dann war ich plötzlich
am Meeresgrund, der sah aus wie meine Wohnung in Auteuil. Und
ich war ein Taucher und durch einen Schlauch mit dir verbunden
und ich flehte dich an, den Schlauch nicht durchzuschneiden...Du
bist die Luft, die ich atme." In Cocteaus Stück ist
das große Thema der Liebe, die Opposition von Verbunden
und Abgetrennt, in der Kommunikationsmaschine gespiegelt, die,
dem damaligen technischen Stand gemäß, häufig
von sich aus versagt und das Gespräch immer wieder abreißen
läßt.
Der
Inhalt des Trennungsgesprächs und sein wiederholt unterbrochener
Übertragungsmodus bilden sich ineinander ab, das Medium wird
zur Botschaft, die Übertragungsmaschine wird im Liebes-Trennungs-Diskurs
selbstthematisierend. Jede connection ist auch eine reconnection,
insofern sie den Rest der Sinne ausblendet, um das Gehör
hervorzuheben. Denn das Gehör geht lebensgeschichtlich dem
Sehen zuvor. Bevor man noch die Augen aufgeschlagen und die Welt
als distante Nicht-Ich-Sache vor sich gebracht hat, war man als
Fötus schon vertraut mit dem intrauterinen Schall, hörte
Stimme und Herzschlag der Mutter. In jenem Stadium ist das Ich
noch nicht von der Welt geschieden und das Erklingende daher noch
nicht als Außen veranschlagt. Vernehmen und Selbstvernehmen
sind eins. Von da her bleibt dem Gehör die Affektbeigabe
der Ganzheitssehnsucht erhalten, während das Sehen ohne Subjekt-Objekt-Abtrennung
nicht zu haben ist und deshalb zum Ziel aller zivilisationskritischen
Anschuldigungen der Unganzheitlichkeit und Zertrenntheit der Welt
wird.
Vor
dem Hintergrund der unhintergehbaren Objektekonstitution der Sichtwelt
wird das regressive Sehnsuchtspotential eines reinen Hörens
als Kompensationsversprechen gegenüber der fundamentalen
Abgetrenntheit menschlicher Existenz deutlich. Die isolierte Stimme
konnotiert eine Verbindung zum Objekt in Form einer Verschmelzung,
die nach der Geburt jedoch faktisch nicht zu erreichen ist. Obwohl
auch akustische Objekte Objekte sind, hat die Verbindung zu ihnen
jedoch den Beigeschmack einer utopischen Nähe, die vom Identischsein
nichtmehr unterscheidbar wäre. Die Worte des Telefonsex zielen
nicht nur thematisch aufs Fleisch, sie wollen buchstäblich
zu Fleisch werden. "Bündner Fleisch"- schreiendes
Fleisch - schließlich Sprechpause als das Lautwerden der
Leitung als Leitung, wobei die Hardware die Funktion übernimmt,
eine nichtsymbolische "reale" Verbundenheit leise rauschend
zu symbolisieren.
Die
rauschende Stille nach dem Telefonorgasmus ist das wahre Online-Sein.Wenn
auch der Telefonsex nur einen kleinen Teil des globalen Telefonierens
ausmacht, so gibt es doch gute Gründe, das Ganze des Phänomens
Telefon von dieser Randerscheinung her verstehen zu wollen.
Wenn
ich hier die Geburt des Handy aus dem Geiste seines sexuellen
Mißbrauchs zu rekonstruieren versuche, so zielt dieses Unterfangen
mehr auf den Sex der Maschine als auf den Sex ihrer Benutzer.
Vorgängerin des Fernsprechapparats ist die mythische Figur
der Sirene, die ihre Verführungskraft aus der Trennung von
Sicht und Gehör schöpft, ja diese Trennung selber verkörpert.
Die Synästhesie-Intervention der Ohrenisolierung ist - von
Homer bis Adorno - der okzidentale Zentralmythos der Gefährdung
der Vernunft. Bei der Isolierung der Stimme, beispielsweise mittels
Telefon, geht es nämlich um das Stimmehören, nicht um
die Worte. Das Gesprochene dient nur der Rationalisierung der
Hörlust. Das Kontrarium zur Vernunft besteht darin, daß
nicht die Stimme die sinnreichen Worte und Botschaften trägt,
sondern umgekehrt, die Worte nur Vorwand und Mittel sind für
den angestrebten Hörkonsum.
Vernünftige
Manager fliegen deshalb zum Zweck vernünftiger Vertragsverhandlungen,
die sie leicht telefonisch führen könnten, um die halbe
Welt. Liebende hingegen telefonieren oft stundenlang, auch wenn
sie nur zwei Häuserblöcke voneinander entfernt wohnen.
Nach einem leiblichen Beisammensein verabschiedet man sich mit
den Worten "wir telefonieren!"
In
der bisherigen Geschichte der Medien führte ein neues Medium
selten nur zu einer vollständigen Ersetzung und zum Verschwinden
des ihm vorangegangenen Mediums, sondern meist zu dessen funktionaler
Spezifikation. Erst nach ihrem Obsoletwerden enthüllen Techniken
ihr Wesen. Falls E-Mail, Computer-Bildtelefon oder gar dessen
holographische Version in Zukunft wichtige Funktionen des gegenwärtigen
Telefonierens übernehmen sollten, so stellt sich die Frage
nach jenen wesentlichen Eigenschaften des Telefons, die unersetzbar
bleiben und ihm seinen Fortbestand sichern werden.
Meine
These lautet, daß das Telefon als technische Überbietung
der körperlichen Anwesenheit hinsichtlich des Nähewunsches
Sinn behalten wird. Seiner ersetzbaren Informationsfunktionen
beraubt, wird es als rein ästhetisches Medium seinen spezifischen
Erweiterungsbeitrag zur menschlichen Kommunikation ins Zentrum
rücken, der bislang unter der Rationalisierung der Informationsübertragung
verdeckt blieb. Damit wird es am Beginn des 21. Jahrhunderts zu
jenem Stadium zurückfinden, mit dem am Beginn des 20. Jahrhunderts
seine Verbreitung begann: dem Stimmehören; denn Opernübertragungen
waren seine früheste Verwendung.
Der derzeit explodierende Telefonsex ist die Avantgarde in der
historischen Bewegung der Selbstaufhebung der Telefontechnik:
der Lustgrund tritt hinter seiner funktionalistischen Rationalisierung
hervor und macht die Technik vom Mittel zum Zweck, vom Werkzeug
zum Konsumobjekt. Das Wesen der "Gutenachtgeschichte",
bei identischem Erzählinhalt die Stimme jeden Abend erneut
und gerade zum Zeitpunkt der angestrebten Bewußtseinsaufgabe
zum Erklingen zu bringen, wird vom Fernsprechapparat verkörpert.
Im
Vorausblick auf jenen gewaltigen technischen Modernisierungsschub,
an dessen Schwelle wir heute stehen, lohnt sich ein Rückblick
in die Anfänge der Telefonie.
Als Philipp Reis, der deutsche Erfinder des Telefons 1861 seine
Maschine präsentierte, lehnte Werner Siemens deren Entwicklung
ab: "Er erkannte nicht die profitable Bedeutung des Dings,
das ihm da vorgeführt wurde... der Telegraph schien ihm ausreichend".
Nicht anders erging es Graham Bell und Elisha Gray, die parallel
in Amerika das Telefon erfanden. Es wurde zwar auf Jahrmärkten,
Weltausstellungen und in wissenschaftlichen Versammlungen bestaunt,
doch die Öffentlichkeit konnte lange Zeit von keiner Nutzbarkeit
überzeugt werden. 1876 schrieb die New Yorker "Tribune":
"Welchen Nutzen hat eine solche Erfindung? Nun, es mag Fälle
geben, in denen es aus staatswichtigen Gründen notwendig
ist, daß Beamte von zwei auseinanderliegenden Orten miteinander
sprechen mögen... Oder vielleicht wird irgendein Liebhaber
seinen Antrag direkt in das Ohr seiner Angebeteten stellen und
ihre Antwort hören wollen auch wenn er meilenweit entfernt
ist. Es läßt sich gar nicht ausdenken, auf welche Weise
im 20. Jahrhundert ein Mann um eine Frau werben wird. Musik kann
man ohne weiteres übertragen. Man stelle sich also ein telegraphisches
Ständchen vor!"
Aus
dem Vergleich von Telegraph und Telefon ergab sich die Betrachtungsweise,
daß die Stimme nicht ein medialer Träger, sondern ein
überflüssiger ästhetischer Zusatz zum sprachlichen
Mitteilungskern sei und als irrationaler Luxus weder wert noch
geeignet, eine rationale Technik zu etablieren. In ähnlicher
Weise hatte sich schon Odysseus an sein Transportmittel gebunden,
um sich und dieses vor den lockenden Stimmen der Sirenen zu retten.
Erst die Anwendung im Krieg bahnte der neuen Technik den Weg.
Wie langsam das Telefon angenommen wurde, kann man daran ermessen,
daß im Jahre 1953 nur 13 Prozent aller deutschen Haushalte
über eines verfügten. Verfolgt man den Wandel in seinen
sozialen Verwendungsweisen durch die zweite Hälfte des 20.
Jahrhunderts, so zeigt sich eine zunehmende Ausdehnung der Gesprächsdauer
bei gleichzeitiger Abnahme der Bedeutung des Inhaltlichen. Vom
"Fasse Dich kurz!" führte der Weg zur stimmlichen
Dauerbegleitung weiblicher Hausarbeit, zum Hauptkonsumgut gelangweilter
Pubertierender, zur legitim erscheinenden Entspannungsquelle während
der Büroarbeit und zum Ersatzpartner für Singles.
Werner
Siemens hatte in einem Punkt recht: Zur Aneignung von Information
ist das Telefon - zumindest seit der Erfindung der Telegraphie
- unnötig. Doch er irrte in seiner Einschätzung der
Verkäuflichkeit des Wunderdings. Nicht bloß Aneignung
und Annäherung, sondern eine spezielle Kombination von Aneignung
und Abhaltung, von Nähe und Ferne sind das Konsumangebot
des Telefons. Das Abhalten des überwachenden und ablenkenden
Sehens steigert die Aufmerksamkeit für die spezifische sinnliche
und symbolische Qualität der fokussiert akustischen Kommunikation.
Wie
jede Technik und jedes Medium ist auch das Telefon eine Brücke,
die nicht nur verbindet, sondern auch trennt. Eine Verbindung,
die Nähe steigert, indem sie zugleich Entfernung sichert.
Ein Sicherheitsgurt für eine gesteigerte Annäherungsbewegung.
"Telefongespräche finden immer auf einer gesellschaftlich
'intimen' Distanz statt", bemerkte der amerikanische Soziologe
E. Hall. "Die Stimme der anderen Person ist wörtlich
genommen direkt am Ohr, also in einer Distanz, bei der das Sehen
bei weitem nicht so wichtig ist wie das Berühren, Riechen
oder das Gefühl von Körperwärme. Das Medium Telefon
ebnet den Weg für Ersatzsex durch den Aufbau von Intimität.
Der Klang der gesichtslosen Stimme stimuliert und verlangt den
Aufbau eines imaginären Gegenübers..."
Das Telefon erscheint sonach neben der Hörlust auch eine
spezielle Schaulust zu befriedigen, man könnte sogar soweit
gehen, es als visuelles Medium zu veranschlagen, da es auch auf
die Evokation von Phantasiebildern zielt. Als mediengeschichtliche
Vorgänger ließen sich in dieser Perspektive Beichtstuhl
und Schleier namhaft machen, als zeitgemäßes Gegenstück
wäre die Diskothek anzusehen, in der mittels lauter Musik
das Sprechen unmöglich gemacht und das Sehen verabsolutiert
wird.
Das Telefon hat Zeit und Raum nicht etwa ausgeschaltet oder überwunden,
wie zeitgenössische Medientheorie dies mitunter zu erkennen
glaubt, sondern bloß in neue Verhältnisse gesetzt.
So bringt die objektive Zeit in Form des Gebührentaktes sich
der beim Telefonieren in besonderem Maße verselbständigten
subjektiven Zeitwahrnehmung ins Gedächtnis. Ähnlich
wie die Schweigeriten in mittelalterlichen Klöstern sorgt
die Gebühr dafür, daß das vom Sinnverlust bedrohte
entgrenzte Geschwatze mit Wert ausgestattet bleibt und die semantische
Entropie durch ökonomische Verknappung auch dort noch den
Charakter einer libidinösen Zuwendung behält, wo längst
die Ventilfunktion die Oberhand gewonnen hat.
Und
auch der Raum ist vom Telefon nicht eliminiert worden; vielmehr
ist die räumliche Entferntheit der telefonierenden Körper
Voraussetzung für seine Funktionalität. Das Telefon
ist nicht gegen den Raum gewandt, sondern befestigt ihn als Bedingung
seiner symbolischen Überschreitung, als Quelle der Sinnhaftigkeit
des Telefonierens. Erst durch seine Abwesenheit wird der Körper
des Telefonpartners zum Referenten der ausgetauschten Zeichen,
zum Fluchtpunkt der Aneignungsgeste, zum Projekt der Sehnsucht
und zum mittels Aufschiebung konstituierten Konsumobjekt. "Das
Zeichen stellt das Gegenwärtige in seiner Abwesenheit dar.
Es nimmt dessen Stelle ein.(...) Das Zeichen wäre also die
aufgeschobene Gegenwart (...) Gemäß einer solchen klassischen
Semiologie ist das Ersetzen der Sache selbst durch das Zeichen
zugleich sekundär und vorläufig: sekundär nach
einer ursprünglichen und verlorenen Präsenz, aus der
sich das Zeichen abgeleitet hat; vorläufig zu jener endgültigen
und fehlenden Präsenz, angesichts derer das Zeichen sich
in einer vermittelnden Bewegung befände", schrieb Jacques
Derrida. Der Körper des Telefonpartners muß abwesend
sein für die Entstehung des Telefonierwunsches; seine Ankunft
muß zugleich aufgeschoben bleiben, damit im Zeitraum des
Telefongesprächs ästhetische Zeichen als akustische
und visuelle Repräsentationen sinnhaft inszeniert werden
können.
Unter
dem Titel der Herstellung von Präsenz ermöglicht das
Telefon mittels Aufschub eine wohlabgegrenzte ästhetische
Repräsentation. Es ist allererst eine Trenntechnik, welche
den Akt der Aneignung als Geste zu prolongieren ermöglicht.
Seine überschnelle und übernahe Annäherungsbewegung
folgt einem Regressionswunsch, der von der Maschine gerade dadurch
möglich gemacht und im Symbolischen gehalten wird, daß
sie ihn real bändigt in der Apparateform der zum Ding verfestigten
Rationalität. Je mehr das regressive Wunschpotential des
allpräsenten Stimmenhörens sich in den neuen Verwendungsweisen
des Telefons enthüllt, desto stärker sind Hardware und
Design gefordert, den Rationalitätsschein aufrechtzuerhalten.
Der
traditionelle "Telefonhörer" hatte mit seiner Form
noch zu viel von Lippen, Ohrmuscheln und Nabelschnüren verraten.
Da das Ohr, im Gegensatz zum Auge, nicht durch Deckel verschlossen
werden kann, ist es der organische Inbegriff der Passivität.
Das vorgeburtliche, über keinerlei Ichgrenzen verfügende
Ausgeliefertsein ans akustische Geschehen wird vom gewaltsamen
Einbruch der Klingel bedrohlich konnotiert. So sehr Passivität,
Regression und Entgrenzung des Ich als Hörversprechen gewünscht
werden, so groß ist auch die Angst davor. Deshalb tritt
beim Handy die Hand als organischer Inbegriff der Aktivität
und Verfügungsmacht an die Stelle der traditionellen Organprojektionen
von Mund und Ohr. Der Handybenutzer simuliert, auch beim Telefonieren
mehr aktiv als passiv, also weder Klingelsklave noch Stimmsüchtiger
zu sein, sondern die Welt in der Hand zu behalten. Gerade weil
das Handy ein geradezu paranoischer Verfolger ist, muß es
darstellen, daß sein Benutzer die Technik noch im Griff
hat. Andernfalls könnte das unliebsame Tönen aus der
Hosentasche an Heideggers Worte gemahnen: "Der sichdurchsetzende
Mensch ist, ob er es als einzelner weiß und will oder nicht,
der Funktionär der Technik".
Schall
hat immer schon geschlossene Türen durchdrungen, Briefe haben
seit Erfindung der Schrift Verständigung zwischen Menschen
ermöglicht, die nicht im selben Raum anwesend waren. Dennoch
war es dem Telefon vorbehalten, zum Angriffsziel kultur- , technik-
und gesellschaftskritischer Klagen zu werden. In ihrem Buch "Telefon!
Der Draht, an dem wir hängen", stimmen Renate Genth
und Joseph Hoppe einen großen Klagegesang an, der auf die
Zerrissenheiten des Individuums und der Gesellschaft zielt: Die
natürliche Nähe der Großfamilie, der Nachbarschaft
und des Dorfes sei von der industriellen Revolution zertrennt
worden, von der Technik entwurzelte und isolierte Individuen in
einer eiskalt durchrationalisierten modernen Lebenswelt könnten
nur noch mittels weiterer Maschinen wie etwa dem Telefon eine
falsche Form scheinbarer Nähe herstellen, das Telefon sei
somit die technische Kompensation der technischen Moderne und
als solches bloß Austragungsort falscher Bedürfnisse
und emotionaler Defizite, sei suchtbildendes Fluchtmittel aus
der massenmedialen Ohnmachtserfahrung, etc...
Während
das Weltverhältnis des Menschen immer schon auch ohne den
heutigen Gerätepark ein technisches war (man denke an die
Technik des Rufens!), gerät dies jedoch erst mit der Anschaulichkeit
technischer Dinge in den Blick. Erst der Apparat kann für
die fundamentale Abgetrenntheit des Menschen von der Natur verantwortlich
gemacht werden - und doch zugleich die Kompensation dieses mißlichen
Zustands verheißen, ist er doch als Werkzeug zu nichts anderem
als zur Naturaneignung bestimmt. Das technische Ding erscheint
als schuldig an jenem Mangel, den zu beheben es verspricht.
Das
Telefon als expliziteste apparative Verkörperung der emotional
hochgradig aufgeladenen Oppositionen von Nähe und Ferne,
Abgetrenntheit und Angeschlossenheit, Abstand und konsumatorischer
Verschmelzung bietet sich somit als Sündenbock für Technikkritiker
geradezu an. Als einem sichtbaren technischen Ding kann man ihm
die Verhinderung der Erfüllung jenes alle körperliche
Anwesenheit überschreitenden Nähewunsches anlasten,
welchen es allererst akustisch nahegelegt hat. Es ist offenbar
entlastend, Maschinen für das Begehren nach ihnen verantwortlich
zu machen. "Die sinnlichen Wahrnehmungen sind (...) beim
Telefonieren auseinander.(...) Die Begegnung findet akustisch
zwischen Stimme, Hörer und Ohr statt. Sinnlich wahrnehmen
durch Sehen, Tasten, Schmecken und Riechen läßt sich
der oder die andere nicht. Vergewissern kann man sich nur durch
nachfragen"(R. Genth). Im historischen Rückblick auf
nicht selbst Erlebtes erscheint in dieser technikkritischen Hinsicht
das von Gerüchen begleitete Dauerpalaver in der bäuerlichen
Wohnküche als ultimative Erfüllung des Wunsches nach
Nähe, Wärme und Aufgehobenheit in einem Umgreifenden.
Doch nur aus der Perspektive eines naiven Körperrealismus
hat das Gefühl der Nähe zu einem Menschen etwas mit
dem räumlichen Abstand oder mit der Anzahl der dabei beteiligten
Sinnesorgane zu tun. Für Liebende kann eine sekundenschnelle
Berührung der Kniegelenke unterm Tisch alle Nähe dieser
Welt bedeuten; für Menschen, die einander gefühlsmäßig
fern sind, kann auch das größte Maß an raumzeitlicher
Nähe und die Mobilisierung aller erdenklichen Sinneskanäle
keine Erlösung aus der Individuation bringen.
Daher
ist es falsch, das Telefon technikkritisch als schlechten "Ersatz
direkter Kommunikation" anzuklagen. Vielmehr erweist sich
nach unserer Analyse die Technikkritik als klagsame Ausformulierung
jenes regressiven Wunsches nach einer verlorenen ursprünglichen
Einheit, wie sie das vom Telefon isolierte Hören als Möglichkeit
allererst suggeriert hat. Der nostalgischen Behauptung, daß
"das Telefon vernetzt, was vorher miteinander verwachsen
war", ist mit der von Eckhard Hammel formulierten These zu
widersprechen: Erst die funktionale Ausdifferenzierung der technischen
Dinge macht reflexiv die Natur menschlicher Kommunikation erfahrbar.
Weder eine soziale Ganzheit als Dauernähe noch eine Ganzheit
der sinnlichen Erfahrung haben je existiert. So, wie die fixe
Idee eines vorgeburtlichen Glücks eine Rückprojektion
darstellt (man war schließlich nicht dabei!), so sind auch
die Vorstellungen einer vormodernen heimatlichen Nähe und
einer ganzheitlichen Körperlichkeit und Sinnlichkeit Produkte
der Moderne, also nur ex post möglich. Nähe ist in toto
nicht erfahrbar, sondern nur über die Differenz einer eingefügten
Ferne hinweg. Wie jede Intensität ist sie stets Effekt eines
Ausschlusses, einer Filterung, einer Fokussierung.
Am
Telefon erweist sich skandalös, daß der Körper
für das Gefühl der Nähe sekundär ist. Da das
Ohr immer schon Nähe aus Distanz herstellt, wird ihm in seiner
externalisierten Form, als Telefon, zurecht der Vorwurf gemacht,
dem leidenschaftlichen Diskurs der sozialen, körperlichen
und sinnlichen Ganzheitssuche den Boden zu entziehen. Der Genuß
am Ausblendungsinstrument Telefon stellt den Primat des Ganzen
in Frage. Und das ist gut so, denn das gänzlich Nahe, so
es denn möglich wäre, bliebe unbemerkt.
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